Dritte Woche
Ein Duft


Die Spur
Finn

Sein Eindruck täuschte ihn nicht. Es hatte bereits begonnen und nicht erst seit gestern. 
Unbemerkt schlich es sich heimtückisch in seinen Alltag ein. 
Zunächst unauffällig, kaum erwähnenswerte, unausgesprochene Begebenheiten; dann spürbar auffallender, wie feine Nadelstiche auf der Haut. Unaufhaltsam schritt sein Zustand voran. Wie eine Spirale, die seinen Geist dem nahenden Ende zuführte.
 All seine Erinnerungen würden verblassen wie die Kreidebuchstaben auf einer Tafel, die jemand mit einem trockenen Schwamm verwischte. Es war zutiefst verstörend ... 
Finn trat auf die Terrasse, spürte den frischen Wind, wie er sich in seinen blonden Haaren verfing, sein Gesicht streichelte, seine nackten Beine umwehte. 
Er fühlte Angst. Dann ging er los ...


Troll

Es war still im Haus, bis auf das leise Schlagen der Terrassentür. Troll schreckte hoch. Sprang mit einem Satz aus seinem Körbchen und schaute sich um. Er war alleine im Zimmer. Das Bett neben ihm war leer. Auf dem Boden lagen achtlos verstreut, schmutzige Kleidungsstücke, Brotreste und getrocknete Joghurtbecher. Er umlief die Hindernisse und trat auf die Empore hinaus.
Heiße, feuchte Luft traf auf seine empfindliche Nase. Er spähte durch das Geländer. Im Eiltempo rannte er die Treppe hinunter. Mit seinen Vorderpfoten stieß er die Küchentür auf. Der Raum nebelig eingehüllt, es zischte und blubberte. In Wellen ergoss sich kochender Sud tropfend und spritzend über die Herdplatte, gelangte auf den Fußboden, kroch als heißes Rinnsal bedrohlich auf Troll zu. Langsam wich er bei dessen Anblick zurück.
Rasch lief er durch die weiteren Räume des Hauses. Nur das, was er erhoffte zu finden, fand er nicht. 

Sein Blick fiel auf die Terrassentür, die sich im Wind hin und her bewegte. Troll schnüffelte den Boden entlang und versuchte die Duftspur, von Finn aufzunehmen. Dabei stieß er mit seiner Nase an ein Stück Brot, das heruntergefallen war. Eine Mischung aus Handcreme und Roggen stieg in seine empfindliche Nase. Flugs wischte er sich mit der Pfote die Creme von der Schnauze und nieste einmal so kräftig, dass es ihn schüttelte.
Da war sie! Eindeutig, wie ein roter Leuchtstreifen zog sich Finns Duftspur hinaus in die beginnende Dämmerung. Troll mochte den Duft von Finn. Nur jetzt war etwas anderes dabei – Angstschweiß! Er wurde nervös. Es war keine Zeit mehr zu verlieren. Eilig stieß er mit der Schnauze die Tür zur Terrasse auf und folgte der Fährte von Finn in die Dunkelheit.

Das Erwachen

Einmal wurde er abgelenkt. Der Geruch von  Bär versetzte ihn in Aufregung. Schnüffelnd versuchte er die Richtung des Raubtieres auszumachen. Dabei lief er mal hier und mal dort hin, bis er sich sicher war, dass keine Gefahr drohte. 
Sofort nahm er die Fährte von Finn wieder auf. Deutlich lag die Duftspur vor ihm. Er wusste, wo sie hinführte, er spürte, dass er keine Minute mehr zu verlieren hatte. 

Fröstelnd stand Finn am Rand der Klippe. Dunkel gähnte der Abgrund. Tosend umspülte das Meer die Felsen. Er schaute an sich hinunter. Seine Füße brannten, zerstochen von Dornen und zerschunden von losem Geröll. Den Schmerz nahm er nur unmerklich wahr. Das Gefühl vollkommener Hilflosigkeit überwog. Nie würde er den Weg wieder zurückfinden. Sein Leben würde hier enden.
Das Bellen eines Hundes ließ ihn kurz aufhorchen, aber sein Blick war eingetrübt, die Gedanken, nicht greifbar.
Etwas Warmes streifte um seine Beine. Dieses Gefühl war ihm vertraut. Schwermütig blickte er zur Seite. Da wieder: dieses Bellen! Sein Blick erhellte sich. Ein Lächeln des Erkennens huschte über sein Gesicht. 
»Troll!«

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