Geheimnisvolles Gandenthal

Schatten im Unterholz

Vitus wischte die Gedanken beiseite. Sein Speichel, der eben noch in angenehmen Strömen durch seinen Mund floss, wurde zäh und schmeckte bitter. Augenblicklich wurde ihm speiübel und in seinem Kopf drehte sich alles. Rasch nahm er aus der Feldflasche einen kräftigen Schluck frischen Wassers und schluckte schwer.
Da war der Strauch! Jung und unscheinbar breitete er sich zwischen den zwei riesigen Bergkiefern aus. Dahinter wucherte steil abfallendes, undurchdringliches Buschwerk. Er verstaute die Flasche wieder am Gürtel und schaute sich suchend um. Doch er war allein. Sein Wunsch, gemeinsam mit den Grafen in die Tiefe hinabzusteigen, schien sich nicht zu erfüllen.
»Wohl denn! Ich werde es alleine versuchen müssen!«
Vitus trat näher an den Wacholderstrauch heran, bog ihn vorsichtig beiseite, sodass er sich nicht an den spitzen Nadeln stach, und schlüpfte hindurch.
Der Strauch schlug mannshoch hinter ihm zusammen. Wo eben noch der liebliche Gesang der gefiederten Waldbewohner zu vernehmen war, herrschte kaltes Schweigen.
Vor ihm lag ein schmaler, schattiger Pfad. Ein unangenehmer Geruch lag in der Luft. Vitus lauschte. Ein feines Windgeräusch, das sich wie das heisere Wimmern eines Kleinkindes anhörte, war zu vernehmen.
Wie unklug von ihm, sich auf diese Mission einzulassen, sich derart in Gefahr zu begeben. Aber die Nachricht seines Freundes Franziskus von Harrington klang beunruhigend, und Freunde lässt man nicht im Stich!
Mutig schritt er voran, schob einige überhängende Äste beiseite und blieb wie angewurzelt stehen. Wenige Fuß vor ihm huschte ein flacher Schatten durch das Unterholz. Ein giftgelb glühendes Augenpaar fixierte Vitus. Gefährliches Züngeln und Zischen durchbrach die unheimliche Stille. Die Luft flimmerte heiß, dann verschwand die Erscheinung wieder im Unterholz.
Vitus schlug angewidert die Hände vor das Gesicht.
»Oh Herr, steh mir bei! In welchen Sumpf voller Gefahren ziehst du mich da hinein?« Die Stille war erdrückend. Das Einzige, was er hörte, war das Klopfen seines Herzens, wie es vor Raserei fast zersprang.
»Sei stark, Vitus!«, versuchte er, sich selbst zu beruhigen. 
»Gott wird dich beschützen, glaube daran und vertraue seiner Kraft!«
Starr vor Schreck wischte sich Vitus seine schwitzigen Hände an der Kutte ab und zog sich die Kapuze über. Er würde nur geradeaus schauen, die Augen direkt auf den Pfad gerichtet, den Abstieg wagen. Erscheinungen außerhalb seines Blickfeldes würde er ignorieren, sie völlig außer Acht lassen, sie nicht als existierend betrachten.
»Ich schaffe das, nichts wird mich aufhalten!«, sprach er sich Mut zu und verschwand in dem »Abgrund des Teufels«.

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