
Im Schlund des Todes
William schwebte in einem Meer aus bläulichem Licht.
In einer Welt, die ihr oben und unten verlor, glitt er schwerelos dahin. Purpurfarbene Lichtblitze durchzuckten den Raum, schossen in die unterschiedlichsten Richtungen. Kein Schmerz, keine Angst lähmte seine Gedanken. Vielmehr gewahrte er ein ungeheures Glücksgefühl, völlig befreit von dieser Welt.
So paradiesisch kam der Tod daher. Sanft nahm er sich seiner an. Der Tod zerrte nicht an ihm, er fing ihn einfach nur auf, hob ihn zärtlich an. Wie eine Feder im Wind trug er William empor und ließ ihn schließlich wieder sacht absinken, bis er weichen, schlammigen Untergrund unter seinen Füßen fühlte. Um ihn herum tanzten die Lichter, zeichneten und formten geheimnisvolle Figuren in eine blaue Welt, die durchsetzt war von feinen Bläschen.
Die Ruhe, die ihn umgab, war berauschend. Ströme voll pulsierender Kühle schossen durch seine Lungen. Die Luft schmeckte ausgesprochen frisch, wie Wasser so klar. Sie strömte durch seine Lungen ein und aus, wieder ein und wieder aus. Der Widerstand, der dabei entstand, forderte Anstrengung, aber ermüdete ihn nicht. Und dann begriff er, dass er sich auf dem Grund eines Sees befand und er keineswegs dem Tode geweiht war. Alles an ihm war lebendig und das Erstaunlichste daran war, er atmete kristallklares Wasser.
Ein Anflug von Panik ergriff William und mit kräftigen Beinschlägen versuchte er, sich vom Grund des Sees abzustoßen. Vergebens! Arme griffen nach ihm, hielten ihn zurück. Ein fischähnlicher Körper glitt schemenhaft vorüber, streifte seine Schulter und tauchte wieder in das Blau der Tiefe ab. Für einen kurzen Augenblick gewahrte William, das Gesicht seines Freundes Ulrich erkannt zu haben, doch dann wurde er gewaltsam gepackt und abrupt nach hinten geschleudert. Ein ungeheurer Sog ergriff Besitz von seinem Körper. Er überschlug sich. Dann folgte ein Moment der Besinnung. Der Sog ruhte sich aus.
William traute seinen Augen kaum. Schroff und felsig gähnte die Tiefe unter ihm. Er blickte in den Schlund des Todes. Alles soeben Erlebte trat in den Hintergrund. Hier unten würde er also seinem Tod begegnen und der würde nicht sanft daherkommen. Er war einer arglistigen Täuschung erlegen. Der Tod war hinterhältig und gemein und würde wie wild an ihm zerren. Sein Leben würde schmerzvoll enden. Brutal und ohne Zugeständnisse.
Unter ihm ballte sich das Wasser spiralförmig zusammen. Aufsteigende, bunt schimmernde Luftblasen schossen pfeilartig aus dem Schlund zu ihm herauf, legten sich um seinen Körper wie eine schützende Hülle. In seinem Kopf rauschte es. Der Sog nahm an Stärke zu und die rasende Fahrt in die Tiefe begann. William schloss entsetzt die Augen. Er hoffte auf einen schnellen Tod, ohne Schmerzen und aufgerissene Glieder.
Ein entsetzlich gurgelnder Laut drang an sein Ohr. Jemand erbrach sich. Er fiel auf die Knie, fühlte Sand unter seinen Füßen und Hände auf seinem Rücken, die ihn stützten. William wurde vorsichtig auf die Seite gedreht und aus weiter Ferne hörte er eine gedämpfte Stimme: »Es ist vorbei, William! Mach die Augen auf! Es ist vorbei!«